Vergangenen Herbst zertifizierte das Land Niederösterreich Städte als „Radhauptstadt“. Doch letztlich zeigte die Aktion nur eines: Die Fahrradinfrastruktur des größten österreichischen Bundeslandes ist bestenfalls mittelmäßig, die Mobilitätswende wird vielerorts verschlafen.

Hannes Höller von der Radlobby Wiener Neustadt meint: „finde den Fehler …“
Bild: Karl Zauner

„Wieso ist meine Stadt Radhauptstadt, obwohl wir kaum Radwege haben und wenn, dann nur unbequeme und gefährliche?“ Zahlreiche Fragen wie diese langten in den vergangenen Wochen bei der Radlobby Niederösterreich ein. Und mehrfach wurde auch der Verdacht geäußert, es handle sich um mit Steuermitteln finanzierten Wahlkampf. Daher sah sich die Radlobby Niederösterreich die „Radhauptstadt“ näher an.

Bis zu fünf Sterne konnten niederösterreichische Städte erringen. Geschafft hat das keine einzige.

Selbst der Gesamtsieger Baden erhielt nur drei Sterne. „Das ist ein sehr trauriges Ergebnis und zeigt, dass Niederösterreich die Mobilitätswende im Bereich Fahrrad verschlafen hat“, konstatiert der Obmann der Radlobby Niederösterreich, Karl Zauner. Er kritisiert auch, dass Radland – die Mobilitätsagentur des Landes – weder die genauen Kriterien für die Bewertung der Städte, noch die Detailergebnisse veröffentlicht.

Klar ist nur, dass GIP-Daten herangezogen wurden und die Verkehrsplanungsbüros Rosinak & Partner und Verracon einen Online-Fragebogen erstellten. Dieser umfasste die Bereiche Infrastruktur, Konzepte/Planung, Struktur/Organisation sowie Kampagnen/Öffentlichkeitsarbeit. „Beide Planungsbüros sind renommiert, mussten sich bei der Bewertung aber auf die Selbstauskunft der Städte verlassen“, so Zauner. „Will man, wie das Projekt Radhauptstadt vorgibt, die Fahrradfreundlichkeit einer Stadt seriös ermitteln, sollte allerdings auch ein Lokalaugenschein durch unabhängige Expert:innen nicht fehlen. Und natürlich hätte man auch die örtlichen Radlobby-Gruppen befragen können, um sich nicht ausschließlich auf die Selbstdarstellung der Stadtgemeinden verlassen zu müssen.“

Mangelnde Radfahrfreundlichkeit der Landesregierung

Aktuell gibt es in Niederösterreich 31 aktive und in Gründung befindliche Radlobby-Gruppen, die sich für das Alltagsradfahren in ihren Städten oder Regionen engagieren, denn noch immer wird bei der Verkehrsplanung viel zu oft auf Radfahrende vergessen – gerade auch auf Landesstraßen.

Einige Beispiele:

  • Scharfe 3-4 cm Kanten bei Radwegen.
    Bild: Karl Zauner

    Auf der L4132 in Ternitz misslang die Gestaltung der Straßenkreuzung vor der Volks- und Mittelschule – zu Fuß oder mit dem Rad in die Schule zu kommen, bleibt gefährlich.

  • Die Landesstraße B54 wurde in Warth und Scheiblingkirchen neu gestaltet. Auf einen Radweg wurde verzichtet, obwohl wichtige Zielpunkte auf der B54 erreichbar sind: Eurospar, Bahnhof,
    diverse Gewerbebetriebe, neue Wohnsiedlungen. Auch am Schulweg müssen die Kinder ohne Radweg auskommen.
  • Die B14 zwischen Maria Gugging und St. Andrä-Wördern wurde 2021 und 2022 frisch asphaltiert. Obwohl auf die Errichtung eines Radwegs verzichtet wurde, konnte sich die NÖ
    Straßenbauabteilung nicht einmal zu einem Tempolimit von 70 km/h durchringen.
  • In Wiener Neustadt wurde auf der B17 die Kreuzung mit der Stadionstraße für den Radverkehr „optimiert“, aber so, dass es nun schlimmer ist als zuvor. Hohe scharfe Kanten wurden eingebaut, auch solche, die man im 45°-Winkel befahren muss.

Das Land Niederösterreich hat mit der Basisnetz-Förderung einen wichtigen ersten Schritt gesetzt und LR Ludwig Schleritzko hat eine Verdoppelung des Radverkehrsanteils versprochen. Dasselbe Versprechen der Landesregierung aus dem Jahr 2010 brachte bislang allerdings lediglich einen Zuwachs von einem Prozentpunkt. „Auch diesmal wird nicht viel mehr herausschauen, wenn das Land Niederösterreich im eigenen Verantwortungsbereich – nämlich auf Landesstraßen – auf sichere Wege für Radfahrende und Fußgänger:innen verzichtet und diese Verantwortung im Ortsgebiet sogar auf die Städte und Gemeinden abschiebt“, erklärt Zauner. Außerdem müsse das Landesbudget für die Herstellung einer sicheren und lückenlosen Radverkehrsinfrastruktur um den Faktor zehn erhöht werden.

Alltagswege mit dem Rad oder E-Bike zurückzulegen, ist die energieeffizienteste Fortbewegungsart. Selbst beim Gehen verbraucht man auf derselben Strecke mehr Energie (in Form von Kalorien) als mit einem Rad. Radfreundlichkeit ist daher Klimaschutz in Reinkultur, aber auch sehr komplex. Schon eine einzige gefährliche Lücke im Radnetz kann ausreichen, nicht mit dem Rad zur Arbeit oder zum Einkaufen zu fahren oder Kinder und Jugendliche mit dem Rad zur Schule zu schicken.

Das Fazit der Radlobby Niederösterreich:

An den absolut fahrradfreundlichen Abstellanlagen des Bahnhofs in Baden, dem Landessieger bei „Radhauptstadt“, kann man sich durchaus einiges abschauen, und auch in anderen niederösterreichischen Städten gibt es ernst zu nehmende Bemühungen für mehr Radverkehr. Aber von echten Radhauptstädten wie Kopenhagen, Groningen oder Utrecht sind alle
niederösterreichischen Städten noch meilenweit entfernt.

Falls die „Radhauptstadt“, deren es in Niederösterreich nun fünf gibt (neben Baden die Regionssieger Amstetten, Horn, Korneuburg und Tulln), 2024 in die Verlängerung geht, ist
Transparenz erforderlich. Sowohl aus (planerischen) Fehlern als auch aus Best-Practice-Beispielen könnte man lernen. Doch „Radhauptstadt“ liefert weder das eine, noch das andere.
Dafür gibt es dutzende Pressefotos mit Landeshauptfrau und Mobilitätslandesrat.
Ein Schelm, wer dabei Böses vor der Landtagswahl denkt.

Kriterien der Radlobby Niederösterreich für radfahrfreundliche Städte:
  • Radwegstrecke pro Einwohner:in
  • Radverkehrsanteil
  • Qualität des Radnetzes: sichere Erreichbarkeit von Schulen, Kindergärten, Stadtverwaltung, Geschäften, Gewerbegebieten, Bahnhöfen, Freizeiteinrichtungen,
    Kirchen u.ä.
  • Qualität der Radwege (Sicherheit, Komfort, Vorranggebung)
  • Qualität der Rad- und Mehrzweckstreifen (Stichwort „Dooring-Gefahr“)
  • Einbindung in ein regionales Radnetz: sichere Erreichbarkeit der Nachbarorte
  • Prozentsatz der geöffneten Einbahnen (Radfahren gegen die Einbahn)
  • Anzahl und Qualität der Fahrradabstellplätze
  • versperrbare Fahrradräume oder -boxen an allen wichtigen Standorten
  • Querungsmöglichkeiten – vor allem über stark befahrene Landesstraßen im Ortsgebiet
  • Gestaltung von Unterführungen und Brücken (mit/ohne Radweg)
  • Anzahl und Qualität von Fahrradstraßen im Stadtgebiet
  • Tempo 30 im gesamten Ortsgebiet
  • Radverleih und Lastenradverleih
  • Winterdienst für Radwege
  • permanente Kooperation mit der Radlobby als Interessensvertretung der Radfahrenden
  • Stadtplan für Radfahrer Neustadt / Stadionstraßende
  • Marketing für den Radverkehr

 


Rückfragen bitte an:
Radlobby Niederösterreich
Karl Zauner
0664 7512 6908
karl.zauner@radlobby.at

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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