Die Radlobby Wolkersdorf zeigte den Film “Der automobile Mensch” in Kooperation mit der ÖKOENERGIE und der Stadtgemeinde Wolkersdorf zum Auftakt zur Europäischen Mobilitätswoche am 11.9.2025 im Schloss Wolkersdorf.
Davor gab´s die “Fesch-am-Radl-Tour” mit einer kleinen Runde durch das Zentrum von Wolkersdorf.
Die Dokumentation des Stadtplaners, Fachpublizisten und Filmemachers Reinhard Seiß ist ein aufrüttelndes Plädoyer für eine grundlegende Verkehrswende. Der Film reflektiert das Verkehrsgeschehen in seinen räumlichen, ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ausprägungen und entlarvt die direkten und indirekten Treiber des “Systems Auto”: Entscheidungsträger und Profiteure aus Politik und Wirtschaft, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen unserer Mobilität – sowie Städtebau und Siedlungsentwicklung als gleichzeitige Ursache und Wirkung des Verkehrs.
Dass Wirtschaft und Bevölkerung problemlos mit sehr viel weniger Autos auskommen können, beweist der Film anhand überzeugender Best Practices aus dem gesamten deutschen Sprachraum. Andererseits zeigt er, wie politischer Opportunismus und wirtschaftliches Lobbying, aber auch Technologiegläubigkeit und Wachstumsfixierung eine Wende verhindern.
Aus einem sechsstündigen Filmmaterial wurde für die Aufführung in Wolkersdorf ein Film mit 95 Minuten “zugeschnitten”.
Der Film
Beeindruckend war, wie der mit Wolkersdorf sehr gut vergleichbare Ort Ottensheim in Oberösterreich das Zentrum belebt hat, indem man den motorisierten Individualverkehr ausgesperrt hat. Das hat auch in der Osttiroler Hauptstadt Lienz bestens funktioniert. Kurz zusammengefasst: Autos raus – Lebensqualität rein, so einfach ist das Prinzip. Allerdings musste die Lienzer Politik viel Überzeugungsarbeit bei der Wirtschaft leisten. Na ja, das kennen wir auch von Wolkersdorf, hier kämpft die Wirtschaft auch um jeden einzelnen Parkplatz im Zentrum.
Von der Verkehrswende wird mittlerweile überall gesprochen, nur etwas tun dafür, das trauen sich die wenigsten.
Und in manchen Orten wird noch Verkehrs- und Siedlungspolitik gemacht, die aus dem letzten Jahrhundert ist. In der Nachbargemeinde von Lienz, in Nußdorf-Debant, wurde am Ortsrand ein großes Einkaufzentrum hingebaut. Damit nicht genug, die Gemeinde wollte zur Einnahmensteigerung auch noch ein Paketverteilerzentrum. Das liegt ja eh neben der Bahn. Nur Pakete kommen dort nicht mit der Bahn hin. Da fahren jetzt LKW hin und Kleinlastwagen düsen weg. Die Kinobesucher konnten sich ein schönes Bild davon machen, wo man bequemer, ruhiger, näher, leiser seine Besorgungen macht. Ob zu Fuß oder mit dem Rad, in Lienz inklusive einem Tratscherl und einem Kaffee oder am windigen Parkplatz zwischen vielen Autos beim Einkaufszentrum in Nußdorf-Debant, wo die Autofahrer*innen oft längere Fußwege zurücklegen, als in der kompakten Altstadt von Lienz.
In Graz wurde ein Bürgermeister abgewählt, weil er u.a. eine exorbitant teure Tiefgarage im Zentrum errichten wollte, die nur motorisierten Verkehr angezogen hätte. Die Bevölkerung wollte das nicht.
Verkehrsraum in Orten ist limitiert. Man kann den Straßenraum nicht verbreitern. Von Bremen in Deutschland und der steirischen Landeshauptstadt Graz wurde gezeigt, dass eine Umverteilung, weg vom motorisierten Verkehr, hin zur aktiven Mobilität, sehr gut funktioniert hat. Das Miteinander in Fahrradstraßen klappt bestens und an niedrigere Tempolimits haben sich Autofahrende auch gewöhnt. Sie machen Verkehr für alle weniger stressig.
Dass auch das Transportwesen ohne LKW möglich ist, hat man in Graubünden in der Schweiz gesehen. Da werden z.B. Baumaterialien mit der Bahn angeliefert und der Müll auch auf der Schiene abtransportiert. Für kleinere Transporte gibt es den Lastenradkurierdienst. Der befördert Güter bis 250 kg.
Wie öffentlicher Verkehr sehr gut funktioniert, wurde anhand des Schweizer Taktfahrplans, den es schon seit den 1980-iger Jahren gibt, eindrucksvoll gezeigt. Es kommt nicht unbedingt auf die Schnelligkeit an, sondern auf die Zuverlässigkeit, den Komfort und die Umstiegsmöglichkeiten ohne lange Wartezeiten. In der Schweiz gibt es für Gemeinden mit mehr als 100 Einwohnern zwischen 6 Uhr morgens und 21 Uhr abends garantierten öffentlichen Verkehr mit Bahn oder mit Bussen und das mindestens stündlich.
In Österreich ist man andere Wege gegangen. Zur selben Zeit, wie in der Schweiz der Taktfahrplan eingeführt wurde, hat man in Niederösterreich zahlreiche Nebenbahnen eingestellt, das Schweinbarther Kreuz erst vor wenigen Jahren.
Supermarktketten platzieren sich gerne an Ortsrändern. Und die Politik finanziert ihnen zum Teil aufwendige Zufahrten mit Kreisverkehren. Nein, eigentlich finanziert das nicht die Politik, das zahlt eh der/die Steuerzahler*in. Dass Supermärkte auch ganz ohne Parkplätze gut leben können, kann man in der Seestadt Aspern sehen. Sonst gab es von Wien wenig Positives, im Gegenteil. Das Gehen wird kaum wo stiefmütterlicher behandelt, als in Wien. Die Straßen wurden und werden noch immer für Autos gemacht. Was dann noch bis zur Häuserzeile übrig bleibt, das wird den Fußgängern überlassen, aber doch nicht ganz. Da stehen Straßenlaternen, Oberleitungsmasten, Streukisten, Plakatständer, Verkehrszeichen, Hydranten. Bürgersteige sind häufig nicht für die Bürger*innen, sondern sind eher ein öffentlicher Müllraum.
Kann eine Region ganz ohne Auto auskommen? Ja, auf der 20 km² großen ostfriesischen Insel Langeoog. Der Ort ist kompakt, ohne Zersiedelung, die Bewohner kennen sich, sind gut vernetzt und es gibt einen guten Zusammenhalt. Alle fahren mit dem Rad oder gehen zu Fuß. Das reicht auch für die Polizei weil Verbrecher*innen auch keine Autos haben. Der Öffentlicher Verkehr wird mit Pferdekutschen bewerkstelligt.
Die letzte Filmsequenz zeigte Minimundus, die Welt im Maßstab 1:25. Hier fahren Railjets, Nahverkehrs- und Güterzüge. Transport- und Personenschiffe sind auf Flüssen unterwegs. Autos sieht man kaum. In den Ortszentren gibt es Märkte, marschieren Trachtenkapellen, Leute spazieren ohne auf Verkehr achten zu müssen. Autobahnen, Supermärkte, Einkaufszentren mit Parkhäusern gibt es in Minimundus nicht. Dort hat man eine heile Welt gestaltet. Die Besucher bewundern das. Aber warum macht sich der Mensch in der Realität eine ganz andere Welt?
Das konnte man im Anschluss an den Film Reinhard Seiß fragen.
Fragen und Diskussion danach
Das Publikum hatte zahlreiche Fragen und Statements. So wurde noch bis eine Stunde nach Filmende intensiv diskutiert.
Hermann Hiebner von der Radlobby stellte noch einen Bezug zu Wolkersdorf her: “In Wolkersdorf steht dem Kfz-Verkehr überproportional viel Straßenraum zur Verfügung, wie in der Kaiser Josef – Straße, der Wiener-, Brünner- und Obersdorfer Straße. “Eine stark frequentierte Ost-West-Verbindung verläuft mitten durchs Zentrum, obwohl man seit dem Masterplan und dem Mobilitätskonzept weiß, wie es besser gehen kann. Noch immer gibt es in der Hauptstraße, die eine Einbahn ist, eine Fahrbahn und zwei Parkstreifen für Kfz, einen schmalen Radstreifen und zwei zu schmale Gehsteige. Wie man das anders lösen kann? Schaut´s euch Lienz oder Ottensheim an!”
Bürgermeister Dominic Litzka meinte, dass man Wolkersdorf miteinander und nicht gegeneinander weiterentwickeln wird. Geld ist momentan für Investitionen in neue, “größere” Verkehrslösungen ohnehin nicht vorhanden. Die einzige Straße, die in seiner ersten Periode als Bürgermeister gebaut wurde, war die Dr. Werner Katzmann – Promenade, ein Geh- und Radweg entlang vom Rußbach. Für die Zeiten, wo vielleicht wieder mehr Geld zur Verfügung steht, hat eine Tiefgarage im Zentrum von Wolkersdorf seiner Ansicht nach sehr wohl eine Berechtigung, weil sie neben dem Zentrum auch das Schloss und das Quartier Wolkersdorf mit Parkplätzen bedient.
Resümee
Das Resümee: Die Politik muss handeln. Sie kann zum Wohle der Menschen handeln oder aber auch nicht, weil es Beziehungen, um nicht zu sagen Abhängigkeiten von einzelnen Branchen und Institutionen gibt. Politik soll nicht nur verwalten, sie soll gestalten – zum Wohle der Bevölkerung. Man muss etwas tun und nicht nur von der Verkehrswende reden. An den Hebeln sitzen die Politiker*innen, die wir wählen. Wir bekommen die Politik(er*innen), die wir verdienen.Am köstlichen Buffet und bei guten Weinen wurde noch bis knapp vor Mitternacht diskutiert und sinniert.
Die Kinobesucher*innen haben die Hoffnung, dass das eine oder andere gezeigte Best Practice – Beispiel vielleicht doch den Weg nach Wolkersdorf und seine Katastralgemeinden findet.